Impuls zur Fastenzeit: Vater unser - Unsere Erlösung
In Lourdes versammelt sich das "Elend der ganzen Welt", aber auch schon gleich nebenan im Wartezimmer der Ärzte. Jeder mit seiner Lebensnot. Alle sprechen von Erlösung, jeder auf seine Weise. Bedrohliche Verletzungen. Körperliche Gebrechen. Lange Lebenslasten und Angst vor dem Vergehen. Ärzte schaffen Bewundernswertes. Vorübergehende Erlösung.
In Altenheimen und Hospizen verdichten sich die Leiden: Auf das Ende warten und das Ableben einüben. Oft ein langgestreckter Tod, ein Dahinsiechen und Sterben auf Raten. Lebensbewältigung ist hier keine Frage bloßer Schmerzmitteltherapie. Der Ruf nach Erlösung – ein stiller Schrei.
Rein theoretisch, am grünen Tisch oder Schreibtisch von Philosophen und Theologen die Vorstellung: Erlösung – der Weg vom vorübergehenden zum endgültigen Glück, vom Kleinformat zum Großformat, von der irdischen Teilerfüllung zu einer himmlischen Totalerfüllung. Ein Gang ins Paradies oder "Ostern" für alle und auf ewig. Ein möglichst schmerzfreier, nahtloser Übergang?
Erlösung – für die meisten ein abstrakter, religiöser Begriff, oft verbunden mit der Hoffnung auf Rettung in letzter Minute.
Hoffnung, die das Evangelium schenkt
Christen ist der Hoffnungston der Schrift vertraut:
- Gott selbst wird euch erretten.
- Er heilt alle Gebrechen und richtet euch wieder auf.
- Er lässt sein Angesicht über euch leuchten und macht euch heil.
- Er wird mit der Kraft seiner Liebe alles verwandeln.
"Er hat die Macht, uns zu helfen, wo niemand uns helfen kann – in der Einsamkeit der Sünde und des Sterbens" (F.J. Schierse).
"Ihr dürft euch nicht von der Hoffnung abbringen lassen, die euch das Evangelium schenkt. In der ganzen Schöpfung unter dem Himmel wurde das Evangelium verkündet; ihr habt es gehört" (Kol 1,23).
Es ist die Botschaft vom neuen und heilen Leben bei Gott und durch ihn. Sie gibt uns die innere Gewissheit, dass Er rettet. Große Zeugen bestärken uns darin. Auch eigene Gehversuche auf dem Wege machen uns zuversichtlich "in der Hoffnung, die uns erfüllt" (1 Petr 3,15).
Nicht nur der Tod ist für Menschen "eine radikale Neuigkeit" (W. Benjamin), auch Gott und das ewige Leben werden uns total überraschen: Ein unverhofftes und nicht vorhersehbares Glück, wie wir glauben. Nicht nur eine wunderbare Verlängerung bisher erlebter Glücksmomente.
Lange Zeit konnte die christliche Erlösungsbotschaft bei unserem Gottverlangen, bei Ewigkeitssehnsüchten und nicht zuletzt bei der Not und Armut des Sünders ansetzen. Heute scheint die eigentliche "Unheilserfahrung" darin zu bestehen, dass sich immer weniger Menschen nach einem biblisch-christlichen Himmel ausstrecken und in der Tiefe ihres Elends nicht mehr nach dem Vater unseres Herrn Jesus Christus schreien. So ist das "Vater unser im Himmel" dann auch keine Ausdrucksfolie mehr für die Existenznöte vieler Mitmenschen.
Der Medienphilosoph Norbert Bohr stellt generell fest: "Wer im Handgemenge mit der Welt lebt, will nicht erlöst werden. Er hat zu tun." Das "Buch des Lebens" (Offb 20,12) heißt hier "Facebook", wo niemand neugierig ist auf Gott.
Welt ohne Glaubensnot und ohne Hoffnungsplanken im Letzten? Nicht empfänglich für "die Gabe Gottes" (Joh 4,10) und Jesu Botschaft vom "wahren Leben" und seiner Zukunft über den Tod hinaus?
Beschädigtes Leben soll heil werden. Da wird jeder zustimmen. Gerechtigkeit wahr werden und alle Tränen getrocknet.
Die Frohe Botschaft antwortet auf zwei Ur-Nöte: Die Angst vor dem Vergehen (der Vergänglichkeit) und davor, dass wir uns vergehen oder vergangen haben, also unser Leben verfehlen und glauben, vor Gott nicht "bestehen" zu können. Aber erlösungsbedürftig sein wegen eines "Kernschadens", Sünde genannt?
Erlöse uns von dem Bösen
Das Böse als Macht in uns, nicht nur Unverschämtheiten oder Bosheiten. Selbst Christen sind da etwas unsicher. Machtmissbrauch, Lebensgier, Gewalttätigkeiten aller Art. Wir meinen, alles erklären zu können, das Unheile eines Menschen und das Böse in Strukturen: "Von innen, aus dem Herzen der Menschen kommen die bösen Gedanken. Unzucht, Diebstahl, Mord, Ehebruch, Habgier, Bosheit, Hinterlist, Ausschweifung, Verleumdung, Hochmut und Unvernunft. All dies Böse kommt von innen und macht den Menschen unrein" (Mk 7, 21-23). Auch Getaufte leben mit diesen Herzen, dem Teuflischen und Dämonischen in ihnen.
Jesus wurde selten so direkt und lebensnah. Johannes kommentiert: "Er wusste, was im Menschen ist" (2,25). Und wozu Menschen fähig sind. Auch Paulus kann sich nach seiner Bekehrung manchmal selbst nicht begreifen, denn "er tut, was er nicht will" (Röm 7,15). Er ist keineswegs negativ orientiert oder auf seine Schattenseite fixiert, sondern "gläubig-positiv" eingestellt und voller Erlösungshoffnung. Aber er sieht sich nicht immer als Herr seiner selbst und beklagt die "Macht der in ihm wohnenden Sünde" (Röm 7,17).
Wir haben heute wenig Grund, fortschrittsgläubig von einer sittlichen Höherentwicklung des Menschen zu sprechen. Auschwitz macht alle ratlos. Die Mächte des Bösen in uns und um uns hatten früher nur andere Namen und andere Gesichter. Die Bibel ist darin von Paradieseszeiten an sehr realistisch.
Im Geist des Vaterunsers
Die bisherigen Überlegungen zur letzten Bitte um Erlösung vom Bösen müssen eingebunden werden in den Geist des Vaterunsers und sein zentrales Anliegen: Dein Reich komme! Die Leitvorstellung Jesu vom Aufbruch endgültiger Gottesherrschaft ist gefährdet. Er sieht die Mächte, die das Kommen des Reiches verhindern, nicht nur private Vergehen oder ungerechte Verhältnisse. Das Böse, wovon die Menschheit befreit werden soll, betrifft alle. Daher die Bitte.
"Erlöse uns". Das Herrsein Gottes in der Welt und unter uns steht infrage, das Herzensanliegen Jesu: Gottes Herrschaft und Reich für alle.
Da es im Verborgenen wächst und nicht "hier oder dort" aufzuzeigen ist, wie Jesus selbst betont, ist Erlösung auch für Gläubige noch nicht in Sichtweite. Wir bitten täglich darum, dass Gottes Kraft die Herzen und Strukturen wie ein "Sauerteig" (so das Gleichnis) durchwirkt, und dass der Hoffnungston des Gebetes nicht im Ungefähren verhallt:
Erlöse uns, Herr, wir bitten dich, von allem Bösen und gib barmherzig Frieden in unseren Tagen.
Schalom – Frieden – meint das umfassende Heilwerden des ganzen Menschen und seiner Verhältnisse.
Die wahre Erlösungsbedürftigkeit oder die Urnot der Welt ist in den Augen Jesu dort, wo sich Menschen Gott und seiner Heilsbotschaft verweigern. Die Bitte um Erlösung ist eine Bitte um Befreiung von allem, was uns zu Gott hindert und das Kommen und Offenbarwerden seines Reiches stört: Geheimnis des Glaubens.
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Text: Dr. Hermann-Josef Silberberg | Foto: Michael Bönte, Kirche+Leben