Zur Vertiefung: Geist – Lebenskraft und Lebensenergie
Was fällt Ihnen bei dem Wort "Geist" ein? Wenn Sie diese Frage in Ihrem Bekanntenkreis stellen würden, würden Sie sehr unterschiedliche Antworten bekommen. Ich vermute, dass zunächst Antworten gegeben werden wie: Geisterstunde, Geisterbahn, Gespenst. . . Viele Menschen verbinden mit "Geist" das Unerklärliche, Unheimliche, Gespenstische. Auch in der Kirche gibt es solche Versuche, wenn für alles, was man nicht erklären kann, der Heilige Geist als Lückenbüßer herhalten muss. Übrigens fallen schon die Jünger in dieses Missverständnis; denn als Jesus ihnen in ungewöhnlicher und unerwarteter Weise begegnet, "meinen sie, es sei ein Gespenst!" (Matth 14, 26)
Andere Leute denken an "Verstand", "Intellekt"; das ist nicht völlig falsch; denn wenn wir von "geistigen Tätigkeiten" sprechen, meinen wir solche, die der Mensch nicht mit seinen Händen, sondern mit seinem Verstand ausübt. Und hier merken Sie: Wir unterscheiden zwischen "geistig" und "geistlich"; das Geistige ist das, was der Verstand macht; und das Geistliche?
Schon den menschlichen Geist kann man nicht sehen, nicht hören, nicht messen; er ist buchstäblich nicht zu fassen. Aber seine Wirkungen sind ungeheuerlich. Dichtung, Musik, Kunst - das alles sind Ergebnisse des Geistes, aber man kann eine Note nicht wiegen, einen Buchstaben nicht nach seinem Geruch beurteilen. Die Wirkung aber ist gewaltig.
Geistige Produkte überwinden Raum und Zeit. Denn auch die Literatur der alten Griechen, die Musik des frühen Mittelalters, die Kunst des Barock usw. ist heute genauso aktuell wie eh und je. Und alles Geistige ist auch nicht an Räume, Länder, Kontinente gebunden.
Das gilt nicht nur für den Geist des Menschen, der ja immer auch noch in Zusammenhang mit dem Körper des Menschen steht und deswegen nicht "frei" ist, sondern erst recht vom Geist Gottes, der fern aller Körperlichkeit, aller Materie besteht. Gottes Geist ist unsichtbar und unhörbar, aber er ist ungeheuer in seiner Wirkung, besonders in den Menschen, die dafür empfänglich sind; in seiner Kirche, die ein besonderer Ort - wenn auch nicht der einzige - seiner unsichtbaren, aber wirkmächtigen Gegenwart ist. Gottes Geist "weht" und wirkt, wo er will.
Als Jesus nach Tod und Auferstehung den Menschen nicht mehr in seiner Körperlichkeit erfahrbar war - sie konnten ihn nicht mehr hören, nicht mehr sehen, nicht mehr berühren, sich nicht mehr von ihm berühren lassen -, hatten sie nicht das Bewusstsein, wie Waisenkinder zurückgelassen zu sein, sondern sie erfuhren Jesus nun in seinem Geist: nicht mehr sichtbar und hörbar, aber zutiefst erfahrbar und sehr wirksam. Das hatte er ihnen ja auch angekündigt: Ich werde euch nicht als Waisen zurückgelassen, sondern den Geist senden! Und die Aufgabe des Geistes? Er wird euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe! Manchmal spüren wir, das der Geist eines Menschen auch weiterhin erfahrbar und wirksam ist: In der Kirche ist - trotz allem! - der Geist des großen Papstes Johannes XXIII. lebendig und wird auch nicht ausgelöscht werden können - trotz allem!
Auch Jesu Geist kann nicht ausgelöscht werden; denn anders als der Körper ist der Geist unzerstörbar. Er muss allerdings immer wieder von Menschen aufgenommen werden, die "in seinem Geist" leben. Das Wort "Geist" ist deswegen im Hebräischen mit dem Wort für "Atem" identisch: Der Geist ist, dem Atem vergleichbar, die Lebenskraft und Lebensgarantie schlechthin! Und es ist dasselbe Wort für "Wind"; das ist ein verständliches Bild, denn auch den Wind, den Sturm kann man nur in seinen Wirkungen erkennen. Jenseits aller platten Diesseitigkeit geht es Pfingsten um diesen Atem/Wind/Geist; ob deshalb viele Menschen mit Pfingsten so wenig anfangen können?
Medientipp:
Ulrich Zurkuhlen
Glaube im Wandel; 60 Schlüsselbegriffe erklärt
Kevelaer, Butzon und Bercker; Münster, Dialogverlag 1999
ISBN 3-933144-20-5
Text: Ulrich Zurkuhlen, Kirche+Leben
Foto: Michael Bönte, Kirche+Leben