21. Sonntag im Jahreskreis B, 22. August 2021, Sendenhorst
Lesung: Jos 24,1-2a.15-17.18b; Evangelium: Joh 6,60-69
Homilie
„Ecclesia semper reformanda est“ – zu deutsch: „Die Kirche ist eine immer zu reformierende.“ Ja, das ist sie. Und das hat sie in ihrer 2.000jährigen Geschichte auch immer wieder getan. Dabei war ihr dann und wann, aber nicht immer, das Glück beschieden, dass sie beherzigt hat, was ‚reformare‘ bedeutet, nämlich: zurück in die Form, d. h. in die Ursprungsform bringen, etwas wiederherstellen.
Das Zweite Vatikanische Konzil, das von 1962-1965 in Rom tagte, war solch ein echtes Reform-Konzil. Am sichtbarsten wurde das in der Feier der Liturgien, vor allem der Messfeier. ‚Zurück zu den Wurzeln‘ – so kann man sagen –, lautete die Maßgabe damals; zurück zu den jüdischen Wurzeln und zu dem, was sich besonders im ersten Jahrhundert der Kirche in den Hausgemeinden entwickelt hat, ohne dabei alles andere, was sich danach herausgebildet hat, völlig beiseite zu schieben.
Die Liturgie ist das erste große Thema dieses Konzils. Das zweite ist die Klarstellung der Kirche, dass sie sich mitten in der Welt bewegt, in ihr ein Werkzeug Gottes ist und dementsprechend zu wirken hat. Wichtig zu betonen ist auch, dass die Kirche mit dem Konzil begonnen hat, ihr Verhältnis zum Judentum und zu den anderen Religionen zu klären.
Reformen der Kirche geschehen nie im luftleeren Raum, sondern immer in geschichtlichen Zusammenhängen, weil wir Menschen keine geschichtslosen Wesen sind. Nicht umsonst spricht die Kirche von der ‚Heilsgeschichte‘, d. h. davon, dass ihr Wirken in der Geschichte möglichst eine Geschichte des Heiles und des Heilens ist; zweifelsohne war das nicht immer der Fall. Die Kirche hat für mein Empfinden, ausgelöst durch den hl. Papst Johannes XXIII., den Kairos, d. h. den entscheidenden Augenblick Ende der 50er, Anfang der 60er Jahre des letzten Jahrhunderts erkannt und ergriffen, die Kirche zur Welt hin zu öffnen, oder anders gesagt: wieder zu öffnen. Seitdem ist weltweit viel reformiert worden – Sinnvolles ist geboren und Unvernünftiges.
In der katholischen Kirche in Deutschland wird seit dem Zweiten Vatikanum unentwegt von Reformen gesprochen – berechtigt und unberechtigt. Im vergangenen Jahrzehnt hat es mehrere Dialogforen gegeben. Dabei haben sich Frauen und Männer, geweihte Personen und Laien zu unterschiedlichen Glaubensthemen und kirchlichen Fragen ausgetauscht. Bei diesem Austausch ist es hauptsächlich geblieben.
Seit dem 1. Advent 2019 gibt es den sogenannten ‚Synodalen Weg‘, auf den sich die Deutsche Bischofskonferenz und das Laiengremium ‚Zentralkomitee der deutschen Katholiken‘ verständigt haben, ausgehend vom Missbrauchsskandal. Bischöfe, Priester, Diakone, Ordensleute, Frauen und Männer, verheiratet und unverheiratet, hauptamtlich und ehrenamtlich, sowie Jugendliche kommen in Synodalforen und Synodalversammlungen zu mehreren Terminen und an unterschiedlichen Orten im Laufe von zwei Jahren zusammen, um sich, wie es in der Satzung heißt, „auf die gemeinsame Suche nach Schritten zur Stärkung des christlichen Zeugnisses“ zu begeben. Dabei hat man sich auf vier Hauptthemen verständigt, die als Problemfelder betrachtet werden; deshalb wird eine Klärung in diesen Bereichen angestrebt. Die vier Themen lauten:
- „Macht und Gewaltenteilung in der Kirche“. Hier soll geklärt werden, was nötig ist, um klerikalem Machtmissbrauch vorzubeugen. Die Fragen lauten: Wie können rechtlich verbindliche Ordnungen geschaffen werden und wie kann der Aufbau von Verwaltungsgerichten bewerkstelligt werden?
- „Leben in gelingenden Beziehungen – Liebe leben in Sexualität und Partnerschaft“. Hier geht es um die Sexualmoral der Kirche.
- „Priesterliche Existenz heute“. Die Hauptfrage lautet bei diesem Thema: Bedarf es unbedingt der zölibatären Lebensform, um Priester sein zu können?
- „Frauen in Diensten und Ämtern der Kirche“. Hier geht es um die Rolle der Frau in der Kirche. Welche Aufgaben kann, darf und soll sie übernehmen? Zumeist wird dieses Thema ein bisschen enggeführt auf die alleinige Frage nach dem eventuell möglichen Amt der Diakonin und der Priesterin.
Das sind die vier Themen dieses ‚Synodalen Weges‘, der keine Synode, der aber auch kein Austauschprozess mit völlig offenem Ausgang ist. Dieser zweijährige Weg, der aufgrund der Corona-Pandemie zu einem dreijährigen geworden ist, verläuft am Ende so: es wird Beschlüsse geben, die der Bischofskonferenz mitgeteilt werden; die Bischofskonferenz wiederum wird diese dem Papst übergeben.
Alles, was ich nun sagen werde, liegt mir am Herzen. Mir ist dabei bewusst, dass das nur bruchstückhafte Ausführungen sein können und ich somit nicht die Komplexität aller Argumente aufzeigen kann. Manchmal kann ich nur Fragen stellen. Ich hoffe aber doch, Wesentliches benennen zu können.
Zunächst: Man darf, muss und soll in der Kirche über alles sprechen und diskutieren dürfen. Wenn z. B. der hl. Papst Johannes Paul II. in den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts qua Amt verkündet hat, dass die Weihe einer Frau zur Priesterin ein für allemal entschieden ist, d. h. nicht möglich, dann darf er das aufgrund seiner Stellung als Oberhaupt der katholischen Kirche tun. Solche Sätze eines Papstes gilt es jedoch immer im geschichtlichen Zusammenhang zu sehen. Deshalb gilt dennoch allgemein: Ein Diskutieren eines bestimmtes Sachverhalts mit fundiert vor allem biblischen, theologischen, historischen und pastoralen Argumenten darf niemals verboten werden – im Bewusstsein dessen, dass womöglich auf absehbare Zeit eine Änderung hinsichtlich eines Sachverhalts nicht eintreten wird.
So ist es nicht nur vollkommen in Ordnung, sondern richtig und gut, wenn viele Personen aus der katholischen Kirche in Deutschland zusammenkommen und intensiv wichtige Fragen besprechen. Ja, es werden beim Synodalen Weg wichtige Fragen besprochen. Sind es die wichtigsten unserer Zeit? Mir sind sie zum einen zu einseitig. Ich muss feststellen, dass fast nur über Strukturfragen und Lehramtsäußerungen diskutiert wird. Wo bleibt die Katechese, d. h. das Hineinwachsen in den Glauben und damit das Sammeln von Glaubens- und Kircheerfahrungen und wenigstens anfanghaftes Wissen über den Glauben und die Kirche? Ich halte dieses Thema für das Allernotwendigste. Mir werden die Fragen zum zweiten vornehmlich aus der Perspektive der Macht(frage) angegangen.
Spielen wir das gedanklich doch einmal durch. Der Papst beruft bald ein Konzil ein und das Konzil würde Folgendes beschließen: der Zölibat ist freigestellt, es gibt die Priesterin, die Diakonin, die kirchliche Trauung wiederverheiratet Geschiedener und es gibt kaum noch moralische Aussagen zum Bereich der Sexualität. Was würde passieren? Wären die Gotteshäuser wieder voll? Vielleicht am ersten Sonntag nach diesen imposanten Entscheidungen, vielleicht noch einen Monat später; danach nicht mehr. Denn wir sehen, dass diese angeblichen Befreiungen in den evangelischen Kirchen nicht zu mehr Mitgliedschaft, vor allem gelebter Mitgliedschaft geführt hat. Doch ist das überhaupt ein Argument, das Hinschauen auf die Situation in den evangelischen Kirchen? Nein, wenn ja, dann nur ein ganz schwaches.
Ich bleibe noch einmal bei drei Themen des Synodalen Weges. Nach meinem theologischen Verständnis kann es den verheirateten Priester geben, den es ja auch in anderen katholischen Teilkirchen des Ostens gibt. Die Aussagen der Bibel lauten lediglich: der Bischof soll unverheiratet sein. Der Priester in zölibatärer Lebensform gehört also nicht zur unumstößlichen, nicht veränderbaren Überlieferung der Kirche, sondern zu den Traditionen der Kirche, die sich im Laufe von Jahrhunderten aus unterschiedlichen Gründen entwickelt haben. Ein fruchtbares Miteinander von zölibatär und nicht-zölibatär lebenden Priestern kann ich mir gut vorstellen; es wäre bereichernd. Aufgeben darf man den Zölibat nie, weil er eine urchristliche Lebensform darstellt, die sich zunächst gar nicht auf den Priester bezog, sondern auf Frauen und Männer, die vor allem in den ersten hundert Jahren der Kirche ganz bewusst die Ehelosigkeit als Lebensform gewählt haben. Der Evangelist Matthäus lässt Jesus im Hinblick auf die Ehelosigkeit sagen: „Wer es fasse, der fasse es.“ – Den Weg in der heutigen Zeit, als Priester verheiratet zu leben, sehe ich darin, „viri probati“, zu deutsch: „erprobten Männern“, d. h. den sogenannten Ständigen Diakonen – Sieghard Westphal aus unserer Gemeinde ist solch einer, jetzt im Ruhestand lebend – das Sakrament der Priesterweihe zu spenden.
Das zweite Thema: Die Diakonin. Wiederum: Nach meinem theologischen Verständnis kann es diese geben. Das Neue Testament berichtet zumindest von einer Diakonin. Vermutlich wird es ein paar mehr, sicherlich aber nicht viele gegeben haben aufgrund der damaligen Zeitumstände.
Ein drittes Thema: die Priesterweihe von Frauen. Es wäre eine revolutionäre Veränderung. Ich persönlich kann sie zur Zeit, nach vielem theologischen Nachdenken, nicht sehen. Oder muss ich sagen: Noch nicht sehen? Der bekannte Benediktinerpater Anselm Grün meint dazu, dass es die Priesterin wohl in hundert Jahren geben würde. Vielleicht ist dem so. Eine Frage möchte ich mitgeben: Wenn eine gläubige Frau in sich den Ruf zur Priesterin verspürt: Darf ich das sogleich ablehnen? Ist das falsch? Gott ist es doch, der beruft, oder?
Und ein letztes Thema: Der Papst in Rom hat ein großes Beratungsgremium mit wichtigen Aufgaben, das Kardinalskollegium. Seine Mitglieder sind bis auf ganz wenige Ausnahmen nur Bischöfe, es gibt ein paar wenige Priester. Dieses Verhältnis war früher einmal anders. Der Titel Kardinal ist lediglich ein Ehrentitel. Der Papst könnte nun sagen: Dieses Mitarbeitergremium besteht zukünftig aus geweihten und nicht geweihten Personen, aus Ordensleuten und aus Frauen und Männern, verheirateten und unverheirateten. Sie alle sind dann Kardinäle und Kardinälinnen und wählen zukünftig den Papst. Das Kardinalskollegium hat letztlich keinen biblischen Ursprung, es hat sich historisch entwickelt. Historisch Entstandenes lässt sich immer reformieren, ist aber eine schwierige Aufgabe, aber eine zu lösende. – Das Domkapitel in Münster hat übrigens neulich verlauten lassen, dass es darüber nachdenkt, in dieses Gremium auch Frauen zu berufen. Das wäre ja schon mal ein Anfang einer Reform auf diözesaner Ebene.
Zwei der gerade genannten Themen können nur weltkirchlich entschieden werden, weil der katholischen, d. h. allumfassenden Kirche etwas Wesentliches anhaftet, nämlich der ‚sensus ecclesiae‘, der ‚Sinn, der gemeinsame Sinn der Kirche‘, d. h. aller, die zu ihr gehören. Man nennt ihn auch den ‚sensus fidelii‘, den ‚Sinn der (Christ)Gläubigen‘. Diesen zu erspüren, ist eine gewaltige Aufgabe. Dieser ‚sensus ecclesiae‘ macht zudem deutlich, dass die Kirche keine Demokratie ist, deren Grundprinzip auf Mehrheitsentscheidungen beruht, sondern eine Hierarchie, also eine Rangordnung, innerhalb derer dieser ‚Gemeinsinn‘ errungen werden muss. Auf diesen ‚Gemeinsinn der Kirche‘ hat Papst Franziskus in seinem Schreiben an die Mitglieder des Synodalen Weges in Deutschland Ende Juni 2019 hingewiesen; er „befreit uns von Eigenbrötelei und ideologischen Tendenzen“, so der Papst. Solche Tendenzen sind leider bei diesem Synodalen Weg deutlich er erkennen. Wenn die eine Gruppe der anderen im Grunde partout ihre Ansicht aufpfropfen will und sie als die einzig wahre Sichtweise bezeichnet, dann kann das nicht gut gehen: dann sind hier die vermeintlich Liberalen, da die vermeintlich Konservativen; hier Maria 2.0, da Maria 1.0.
Ich mache mir Sorgen, dass dieses päpstliche Schreiben nicht ernst genommen wird. Ich mache mir Sorgen, dass der ‚Synodale Weg‘ am Ende in einem Desaster endet, dass er die ‚Produktion einer Frustration‘ wird, wie ich gerne formuliere, weil er Forderungen aufstellt, die der Papst bzw. ein Konzil zumindest zur Zeit noch nicht erfüllen kann. Denn wir sind eine weltweite Kirche, die sich aus Teilkirchen – das sind die Kontinente – und dann aus Ortskirchen zusammensetzt, das sind die Bistümer. Die Medien in Deutschland werden am Ende des Prozesses ‚Synodaler Weg‘ schauen, was sich ändern wird. Da werden sie schreiben: ‚Nichts.‘ Und sie werden dann wieder das alte Lied der ‚Unbeweglichkeit der katholischen Kirche‘ anstimmen. Aber als standhafte und angstfreie Katholikinnen und Katholiken muss uns das nicht beeindrucken. – Einen Hinweis zum Aspekt Weltkirche und Teilkirche muss ich an dieser Stelle noch erwähnen: Es hat in der Geschichte der Kirche immer wieder Entscheidungen seitens der Päpste gegeben, die nur eine bestimmte kontinentale Teilkirche betrafen. Vielleicht wäre das auch ein Weg, bei der einen oder anderen Strukturfrage in einer Teilkirche mit der konkreten Veränderung zu beginnen; vielleicht.
Der deutsche 88jährige Kardinal Walter Kasper, ehemaliger Präsident des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen im Vatikan, jetzt emeritiert und den man durchaus als liberalen Theologen bezeichnen darf – wenn man denn in diesen Kategorien von ‚konservativ‘ und ‚liberal‘ reden will –, hat zum Synodalen Weg in Deutschland unter anderem gesagt: „Es übersteigt mein Vorstellungsvermögen, dass Forderungen wie Aufhebung des Zölibats und Priesterweihe von Frauen am Ende die Zwei-Drittel-Mehrheit der Bischofskonferenz finden oder in der universalen Kirche konsensfähig sein könnten. Außerdem ist jeder Bischof frei, in seiner Diözese zu übernehmen, was ihm geeignet erscheint.“ Der Kardinal warnt die Kirche in Deutschland zudem davor, die Weltkirche mit dem Synodalen Weg auf einen deutschen Weg bringen zu wollen. Er sagt weiter: „Wir Deutsche genießen in der Welt Respekt für unser klares Denken, für unser Organisationstalent, unsere Spendenfreudigkeit, auch für die Theologie. Ich stelle aber auch fest, dass andere Völker gereizt reagieren, wenn wir den Eindruck erwecken, wir wollten ihnen den Kurs vorgeben nach dem Motto: ‚Am deutschen Wesen soll die Welt genesen.‘“ Er erlebe immer wieder, dass die beim Synodalen Weg diskutierten Themen in anderen Ländern keine Rolle spielten. „Wir haben keinen Grund“, so führt Kasper weiter aus, „nur als Lehrmeister aufzutreten; auch andere haben etwas zu bieten, von dem wir lernen können.“ Wenn er etwa sehe, was in römischen Pfarreien, in den Vereinigten Staaten oder – unter völlig anderen Bedingungen – in Afrika in der Katechese geschehe, dann sei Deutschland „katechetisches Notstandsgebiet“. Beispielhaft nennt er die Ehevorbereitungs- und Familienkatechese. „Wo sie gut gemacht wird, finden sich in den Sonntagsgottesdiensten junge Leute, junge Familien mit Kindern.“
Papst Franziskus wird Anfang Oktober dieses Jahres eine weltweite zweijährige Synode eröffnen, die den Titel trägt: „Für eine synodale Kirche: Gemeinschaft, Partizipation und Mission“. Bei ihm steht dabei im Vordergrund die Katechese, vor allem die der Erwachsenen. Im Oktober 2023 wird diese mit einer Versammlung aller Bischöfe der Welt enden.
Liebe Schwestern und Brüder! „Ecclesia semper reformanda est“, so begann ich diese Predigt; mit diesen Worten möchte ich sie auch schließen: „die kirchliche Versammlung ist eine stets zu reformierende“. Statt ‚Kirche‘ oder ‚Versammlung‘ können wir auch vom Volk Gottes sprechen. Fehlt diese Erinnerung der Zugehörigkeit zu einem Volk, wäre das für Papst Franziskus der gefährlichste Irrweg der Christen, so sagte er in seiner Predigt am 7. Mai des letzten Jahres. Bitten wir deshalb unseren Herrn Jesus Christus um dieses Bewusstsein, ein Volk zu sein. Mit den Worten unseres jetzigen Papstes: „Wir sind das heilige gläubige Gottesvolk, das, wie das Erste und dann auch das Zweite Vatikanische Konzil sagt, in seiner Gesamtheit das Gespür des Glaubens hat und das in dieser Weise zu glauben unfehlbar ist.“ (Pp. Franziskus in seiner Predigt am 7. Mai 2020)
Amen.